"Wilburys Town"

ISBN: 978-3-759813-17-4

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1. Kapitel


»Ein Hoch auf Eleanor Parker, die uns verlassen wird, um sich in einer Kleinstadt ihrem Schicksal zu stellen. Umgeben von Mais, Weizen, Schweinen und Rindern, wird sie in den Kampf ziehen, gegen Hinterwäldler und provinzielle Enthaltsamkeit.« Harper stand auf dem Stuhl, hatte das Martiniglas erhoben und prostete ihr zu. »Lenni, in Gedanken sind wir bei dir und wir werden dich besuchen, darauf kannst du Gift nehmen!«

»Vergesst eure Gummistiefel und Flanellhemden nicht«, rief Lenni in die Runde und hob ebenfalls ihr Glas.

Die Mädels lachten und tranken und Harp setzte sich wieder.

»Mal im Ernst«, sagte sie, »du wirst mir fehlen. Ich kann immer noch nicht glauben, dass du das machst.«

»Ich auch nicht. Aber ich komme ja wieder. Denkst du, ich würde euch, den Job und die Stadt für immer aufgeben? Niemals! Ich ziehe das durch, sollte ein Klacks sein und im Nu ist die Zeit rum und ihr habt mich zurück.«

»Und wir kommen dich besuchen!«

»Und ihr kommt mich besuchen, natürlich.«

»Dann lass uns feiern!« Harper zog sie auf die Tanzfläche und Eleanor genoss ein letztes Mal für lange Zeit die Atmosphäre ihres Lieblingsclubs.


***


Den über sechseinhalb stündigen Flug von Los Angeles zum La Crosse Regional Airport hatte Lenni fast komplett verschlafen. Auf ihrer Abschiedsparty war viel Alkohol geflossen und sie hatten bis in die Morgenstunden gefeiert.

Nach einem Glas Tomatensaft und einer Aspirin, hatte sie sich die Schlafmaske übergezogen und war durch die Flugbegleiterin kurz vor dem Landeanflug geweckt worden.

Nun steuerte sie den Mietwagen auf der Interstate 90 aus der Stadt heraus, über den Mississippi River und fuhr auf den Highway. Eine knappe Stunde Autofahrt lag vor ihr, ehe sie Wilburys Town erreichen würde. Endlose Weizen- und Maisfelder, grüne Wiesen, auf denen Rinder weideten, Kleinstädte, Farmen und Ranches auf der einen Seite, der Fluss auf der anderen, waren ihre Wegbegleiter. Das würde es auch sein, was sie in den nächsten zwölf Monaten zu sehen bekam. Anstatt in den Pazifischen Ozean würde sie die Füße in den Mississippi stecken müssen, und anstelle in einer Millionenmetropole am pulsierenden Leben teilzunehmen, würde sie in einem Kaff am Sonntag den Kirchenglocken lauschen.

Lenni seufzte und schaltete das Radio ein. Country Musik, was sonst?!



Sie parkte am Ende der kurzen Auffahrt, stieg aus und betrachtete das Haus. Mit seinem dunklen Dach, der hellen Fassade, der überdachten Veranda, der Bank, dem Tisch, den beiden Schaukelstühlen, den Blumenkästen, war es so typisch und kitschig, wie man es sich nur vorstellen konnte.

Lenni nahm das Gepäck aus dem Kofferraum und ging die drei Stufen zur Eingangstür hinauf. Gut, dass sie einen Großteil ihrer Sachen vorgeschickt hatte und wenn alles korrekt verlaufen war, sollten sie bereits angekommen sein.

Sie schloss auf und öffnete die Tür.


Staub tanzte in den Sonnenstrahlen, die durch das Fenster der Hintertür am anderen Ende des Eingangsbereichs fielen. Es roch ein bisschen abgestanden und trotzdem lag da auch etwas Vertrautes in der Luft. Lenni stellte die Taschen ab.

Zu ihrer Linken lag die Küche. Sie ging hinein und legte den Schlüssel auf den runden Holztisch, schob einen der Stühle zurecht und öffnete das Fenster über der alten Keramikspüle. Sie lehnte sich an die Arbeitsplatte und schloss die Augen. Der Duft von Apple Pie und Maisbrot, von Krautwickel und Caramel Corn huschte in ihre Gedanken. Schnell machte sie die Augen wieder auf.

Sie inspizierte die Vorratskammer und entdeckte Gläser mit eingewecktem Obst, Marmelade und Corn Relish. Der Kühlschrank war ausgeschaltet, leer und sauber. Sie steckte den Stecker in die Dose und mit einem leisen Brummen nahm er seinen Betrieb wieder auf. Sie warf einen kurzen Blick in den Vorraum, in dem auch die Waschmaschine und der Trockner standen, und ging ins Wohnzimmer.

Da war der große Tisch mit den vielen Stühlen, an dem die ganze Familie an den Feiertagen gegessen hatte. Die Flügeltür zur Veranda, die in den heißen Sommermonaten, weit geöffnet, die Brise von den Feldern und dem River ins Haus ließ, der Kamin, der in den kalten Monaten wohlige Wärme spendete. Der alte Ohrensessel, das Strickzeug in einem Korb daneben, der Quilt, unter dem Lenni so oft auf dem Sofa eingeschlafen war, während sie den Geschichten ihrer Grandma gelauscht hatte. Sie streifte über den Stoff und schluckte den Kloß in ihrem Hals runter.


Eigentlich hatte sie geplant, das große Schlafzimmer in der oberen Etage zu beziehen. Das King Size Bett und das angeschlossene Bad mit der gusseisernen Wanne hatte sie als Kind geliebt. Nun stand sie da und konnte es nicht. Das Zimmer gehörte ihrer Grandma. Hier hatte sie über 60 Jahre lang geschlafen, hatte es mit Grandpa geteilt, bis er bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen war. Hier war Lenni in stürmischen Herbstnächten unter die Decke ihrer Granny geschlüpft, um Schutz zu suchen, aber jede Nacht hier zu verbringen, das fühlte sich falsch an.

Sie würde eines der Gästezimmer nehmen, das, was nach vorne, zum Vorgarten rausging. Wie oft hatte sie mit ihrer Cousine darum gestritten, obwohl das andere Zimmer sogar etwas größer war, hatten sie beide dieses bevorzugt. Es war das ehemalige Kinderzimmer ihres Dads.

Sie schleppte ihr Gepäck und die vorausgeschickten Kisten, die erfreulicherweise an der Treppe gestanden hatten, in den Raum, öffnete auch hier ein Fenster und setzte sich aufs Bett. Da war sie nun.


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